Einer der Großen der Gesellschafts- und Portraitmalerei unserer Zeit.
Endlich!
Unsere langersehnte Frühjahrsausstellung 2022.
WELTENFLIMMERN
Wir freuten uns über
die Anwesenheit des Künstlers
Albrecht Gehse,
der vielen nicht nur wegen seines offiziellen Kohlportraits bekannt ist.
Einführende Worte sprach
Michael Hametner (Leipziger Buchautor).
„Meine Damen und Herren! Liebe Rosemarie Bassi, lieber Albrecht Gehse!
Die Bildsprache von Albrecht Gehse besitzt etwas Magisches. Diese Feststellung ist nichts Ungewöhnliches, denn gute Kunst sollte immer etwas Transzendentes haben. Meine Aufgabe ist es, darüber zu sprechen, was dieses Magische ist. Mir geht es in meiner Laudatio auf Albrecht Gehse und sein Werk um das in jedem Bild liegende Geheimnis, dem der Betrachter erst gegenübersteht, wenn er alles, was ein Bild an Wiedererkennbarem zeigt, hinter sich gelassen hat. Mit Worten lässt es sich nicht benennen, es ist nur zu umschreiben. Wir bewegen uns in der Welt der Aura, dem künstlerischen Geist oder Spirit unter der Malhaut. Es handelt sich um das, von dem Deutschlands größter lebender Maler, Gerhard Richter, sagt: Meine Bild klüger als ihr Maler.
Wer ist der Maler Albrecht Gehse, den ihnen die Galerie Rosemarie Bassi präsentiert? Er gehört in die 3-G-Reihe von Rosemarie Bassi. „3 G“ meint nicht das, womit wir in den letzten zwei Jahren täglich umzugehen hatten: geimpft, genesen oder getestet – nein, es meint eine Reihe von Künstlern, die die Galeristin hier nach Remagen eingeladen hat: die „3 G“ sind GIEBE GILLE GEHSE. Drei der bedeutendsten Maler Ostdeutschlands, herkommend aus der Tradition der gegenständlich-figürlichen Malerei. Zwei von ihnen, nämlich Gille und Gehse, sind Schüler des Jahrhundertmalers Bernhard Heisig, der in seiner Bildsprache Bezüge zu Max Beckmann und Oskar Kokoschka aufweist. Der Hinweis auf Kokoschka ist mir in diesen Räumen besonders passend, denn Kokoschka war noch einer der Lehrer von Rosemarie Bassi in ihrer künstlerischen Ausbildung an der Wiener Kunstakademie. – Mit den Namen Beckmann und Kokoschka ist auf etwas hinzuweisen, was bisher von der Kunstwissenschaft unterschätzt worden ist: Während die Kunst im Westen Deutschlands nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Traditionen über Bord geworfen hat, weil sie vom Missbrauch im Dritten Reich infiziert waren und sich der aus Amerika kommenden abstrakten Kunst angeschlossen hat, ist im Osten die Traditionen der Klassischen Moderne fortgesetzt worden. Die Kunst der Besten aus dem Osten, zu denen Giebe, Gille, Gehse zweifelsfrei gehören, hat mit Sozialistischem Realismus nichts zu tun – den gab es, der war teilweise erschreckend platt, aber über ihn ist oder wird die Zeit hinweggehen. Selbst der Älteste der „3 G“, der 81jährige Sighard Gille, besteht auf der Feststellung, dass er länger im wiedervereinigten Deutschland als Maler wirkt als in der Zeit der DDR.
Albrecht Gehse, den die Galerie Rosemarie Bassi heute präsentiert, ist noch in der letzten Phase der DDR zu einem Star am Himmel der ostdeutschen Malerei aufgestiegen, aber nicht zu einem von der Staatskunst ans Herz gedrückten. Der Maler stammt aus einer namhaften Künstlerfamilie, zu der Großvater Ludwig G`schrey, ein namhafter Vertreter des Informel, der Onkel Paran G`schrey und der Urgroßvater Paul Haustein, ein bedeutender Kunsthandwerker aus der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, gehören. Der Enkel bzw. Urenkel zeigte in seinen frühen Bildern nach dem Diplom an der Leipziger Kunsthochschule HGB sowohl hohes handwerkliches Vermögen wie künstlerischen Eigensinn. Sein auf der VIII. DDR-Kunstausstellung von den Betrachtern bestaunter „Kohlenträger Udo Hasenbein“ von 1981 zeigte unter dem Kohlenstaub auf der Haut ein Tattoo und seine Haare gefielen sich als wilde Punker-Mähne. In dieser Darstellung durch Gehse war er nicht annähernd dem Leitbild des sozialistischen Arbeiters zuzurechnen. Die Dreiviertel-Figur stand Otto Dix und dem Verismus der Neuen Sachlichkeit in den 20er Jahren näher als jeder DDR-Parteikunst. Was man ihm von offizieller Seite auch vorwarf.
Gehse ließ sich nicht erschüttern und ging immer mit Eigensinn einen eigenen Weg: Nach der Wiedervereinigung, die den Ostdeutschen die Chance zum Aufbruch in eine neue Welt bot, wurde er zu einem der bedeutendsten deutschen Maler der Zeitenwende. Dieser Ruf bewog den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl den Künstler für sein Porträt in der Kanzler-Galerie der Bundesrepublik Deutschland auszuwählen. Gehse hat 2002/2003 Bundeskanzler a.D. Helmut Kohl porträtiert. Ein mutiges und beeindruckendes Bild, weil es in der Ausführung Partien zuläßt, die die Anmutung des Spontanen besitzen, als sei das Bild von Kohl in der Geschichte noch nicht endgültig. So ist es ja auch gekommen.
2016 präsentierte der Künstler im Gasometer von Berlin-Schöneberg eine spektakuläre Ausstellung mit dem Titel: „Aufruhr – 50 Bilder über die Welt“. Der damalige Kurator und Direktor des Deutschen Historischen Museums, Berlins ehemaliger Wissenschaftssenator Christoph Stölzl, zieht für die Beschreibung des Zyklus Goethes FAUST heran, der seinen Helden an der Hand von Mephisto vom Himmel durch die Welt zur Hölle führt. Mit dem 50teiligen Zyklus hatte sich Gehse als führender Gesellschafts-Maler seiner Generation in der deutschen Kunstszene etabliert.
Anschließend an AUFRUHR entstanden zwischen 2017 und 2021 der 13teilige Zyklus TRANSIT und der 30teilige Zyklus mit dem Titel WELTFIGUREN. Dass sich Gehse vorwiegend in Bilder-Zyklen mitteilt ist eine Eigenart von ihm, die auf das Prinzip des Einkreisens von Thema und Stoff und des Fortwirkens seiner Bildwelt zurückgeht. Der Künstler ist jemand, den ein Thema völlig besetzt – gedanklich wie vor allem emotional -, so dass er, was er sagen will, nicht in einem einzigen Bild ausdrücken kann. Die Themen gehen ihm unter die Haut, man darf sagen: sie nisten sich in seinem Körper ein, bevor sie eines Tages – oder eines Nachts!!! – mit der Kraft der Farbe aus ihm herausschießen.
Aus dem Zyklus TRANSIT präsentiert diese Ausstellung drei Hauptwerke: „So hoch die Wasser steigen“, auf das ich noch ausführlich eingehen werde, „Gewöhnung an Haifische“ und das großes Meeresbild „Mayday“. Das Titelwort TRANSIT ist nicht auf eine einzige Übersetzung festzulegen. Natürlich schwingt darin die Bedeutung mit, die sich verstärkt seit 2015 in Europa zeigt, als Menschen auf der Flucht vor Krieg Drittländer passieren mussten, um sich in Sicherheit zu bringen. Aber in so direkt zu verortenden politischen Koordinaten bewegt sich Gehses Kunst nicht. Für mich ist Transit auch das Wort, das zeigt, wie ein Thema, ein Stoff seinen Weg durch den Körper des Künstlers nimmt, bevor es Bild wird. Ein Weg, auf dem es angereichert wird mit all den gespeicherten Eindrücken seines Lebens, mit Biographischem also, aber auch mit politischen Wahrnehmungen. Es findet auf diesem Transit durch seinen Körper eine Verwandlung statt. Diese Verwandlung ist bei ihm die Überschreitung der Grenze zwischen Erfahrung und Erfindung.
Eigenart von Gehses Bildfindungen ist es, sich die Welt, wie er sie sieht, in eine Vielzahl von phantastischen Sujets und ungewöhnlichen Metaphern zu übersetzen. Das mündet in seiner Bildsprache in überaus freie Kompositionen. Seine Bilder wirken oft erstaunlich mühelos, ohne an gedanklicher Zuspitzung zu verlieren. Sollte beim Malen der Bilder Schweiß geflossen sein – man sieht ihn nicht. Ich staune, wie frei und leicht er sich im Genre des Gesellschaftsbilds bewegt. Darin dürfte er vielen seiner Kollegen weit voraus sein.
Ich darf für das Gesagte ein Bild heranziehen, dass Sie in dieser Ausstellung erleben können: „So hoch die Wasser steigen“. Wir blicken in einen Strudel, der links eine Figur und ein Haus kopfstehen lässt, rechts etwas Gelbes, vielleicht eine Lava, einbrechen lässt und unten ein angedeutetes Wasserrad bewegt. Die Komposition ordnende Figur in der Mitte ist eine Frau mit der Schönheit einer Heiligen. Andere Figuren, nur als Skizze, bewegen sich um dieses Zentrum. Markant auf dem Bild ist ein Fisch, der möglicherweise in seiner Urbedeutung als Erkennungszeichen für Christen gedeutet werden kann, was wiederum die Interpretation des Frauengesichts als Heilige stützt. Die ganze Szene mit ihren wundersamen Linien und Gesichtern wird zusammengezogen vom Blau-Grün des Wassers. Vielleicht sind alle, um die herum die Wasser steigen, bald rettungslos verloren. Vielleicht finden wir darin unsere Wahrnehmung von der Welt wieder. Aber der Künstler stürzt sie in keine Apokalypse. Er vertraut der Schönheit des Frauenkopfes, selbst dem Fisch, und gibt sich nicht dem Dunklen hin: So hoch die Wasser steigen – die Hoffnung auf Rettung bleibt bewahrt.
Ein Bild dieses Formats: 160 x 200 Zentimeter wirkt bei Gehse – anders noch als im Zyklus AUFRUHR – wie aus dem Handgelenk entstanden, wie eine Impression. An keiner Stelle auf dem Bild hat sich der Künstler festgemalt: ich erlebe einen Wasser-Strudel, er ist nicht Behauptung, er ist zu spüren. Nicht zuletzt in ihrer Sinnlichkeit zeigt sich die außerordentliche Kunst von Gehse!
Und die WELTFIGUREN, welchem Impuls entspringen sie? Auch in diesem Zyklus ist er ganz Künstler, der nicht die äußere Welt nachmalt, sondern den Abdruck der Welt in seinem Innersten. Edward Munch, ein wahrhaft großer Kollege von Gehse, sagte: „Ich male nicht, was ich sehe, ich male, was ich sah.“ – In Gehses Zyklus WELTFIGUREN finden wir sie versammelt: die Heroes seines Lebens. Nicht nur als Kinder hatten wir Heroes, denen wir gleichen wollten. Wir bedürfen unser ganzes Leben Heroes, deren schattenlose Leistung uns anspornt. Diesem Gedanken folgt der Künstler. Wenn er in beeindruckender Intensität WELTFIGUREN auf die Leinwand bringt, malt er prägende Figuren seines Lebens. Der Maler ist beim Grundthema der Kunst: Sie erzählt vom Künstler. Max Beckmann schrieb in seinem Aufsatz „Über Malerei“ 1938: „Das ICH ist das größte und verschleiertste Geheimnis der Welt, es muss alles getan werden, um es gründlicher und tiefer zu erkennen.“ Auch darin zeigt sich Gehse in Korrespondenz zu Beckmanns Kunstwelt, denn auch er bekennt sich in seiner Kunst dazu, dass die Abänderung des optischen Eindrucks der Welt „durch eine transcendente Mathematik der Seele“ entsteht. Der Künstler nicht als Abbilder, sondern als Medium, bei dem das Ich das Bild mitschreibt.
In Weltfiguren erzählt er seine Autobiographie und schafft Mythen. – Natürlich – und das will ich nicht auslassen: Albrecht Gehse, der Maler von Bundeskanzlers a.D. Helmut Kohl, ist ein Meister des Porträts. Ohne diese besondere Gabe wäre es ihm nicht möglich gewesen, seinen Zyklus WELTFIGUREN überhaupt in Erwägung zu ziehen. Ich bewundere seine Porträts nicht allein wegen der Ähnlichkeit des Porträtierten, sondern wegen Gehses Interpretation der Vorbilder. Der Künstler schafft einen Mythos: Romy Schneiders Bildnis auf einem Poster nächtens in einem Haltestellenhäuschen: die Kühle der Nacht und die unendliche Verlorenheit in ihrem Gesicht. Die zweite anwesende Figur in der Tiefe der Straße verweist auf Alain Delon, ihrem Film- und zeitweisen Lebenspartner. Mit der Szene schafft Gehse eine Welt, die jenseits des Glamours der Filme den Schmerz des Künstlers zeigt, seine Einsamkeit und vielleicht auch Beziehungsunfähigkeit, wenn die Scheinwerfer verlöschen. Gehse malt in Romy Schneiders Gesicht die Schönheit, aber auch den Preis, den jeder Berühmte zu zahlen hat. Für mich geht von dem Bild eine große Melancholie aus.
Ich habe selten einen Maler erlebt, dessen Gefühle so stark seine Kunst prägen wie bei Gehse – seine Kunst und seine Umgebung. Er, der manchmal wochenlang sein hochseetüchtiges Motorschiff über die Ostsee steuert, befindet sich immer auf großer Fahrt. In seiner Kunst ist es die Reise in die Welt seiner Biographie, seiner Träume und Albträume. Albrecht Gehse ist ein Meister des Porträts und des Gesellschaftsbilds. Es ist schön, ihm nach Hubertus Giebe und Sighard Gille hier in der Galerie Rosemarie Bassi in Remagen zu begegnen. Für die Bilder ist dem Künstler zu danken – für die Gelegenheit der Ausstellung der Galeristin Rosemarie Bassi, die hier im Westen Deutschlands etwas ganz wichtiges leistet: sie zeigt uns, auf welch hoher künstlerischer Ebene von den Besten in Ost und West gemalt wird und wie beides zusammengehört. – Ich füge gern hinzu, weil dies ja auch eine Verkaufsausstellung ist: Ihnen bietet sich hier die Gelegenheit, Bilder dieses Ausnahmekünstlers zu erwerben, der gerade mit einem Hauptwerk vom Museum Barberini in Postdam angekauft wurde und Gehse einen neuen Auftritt in deutschen Museen hinzufügt. – Danke, Albrecht, danke Rosemarie, danke den Zuhörern für ihre Geduld.“
Es war mir eine große Freude Sie alle wieder zu sehen!